Vielleicht kennt ihr die folgende Grafik aus der NBA. Sie verdeutlicht auf eindrückliche Art und Weise, wie sich im Verlauf der Zeit zwischen 2001 und 2020 auch das Spiel in der NBA, auch dank den Datenanalysten, verändert hat.
Dirk Goldsberry hat für seine Grafik unzählige Schüsse verarbeitet und analysiert und danach die Erkenntnis auf eine einfache Art und Weise visualisiert. Die Visualisierung und die Aussage ist ein echter Augenöffner.
Heute wollen wir etwas in diese Richtung versuchen. Wir beschäftigen uns mit langen Bällen und um die Duelle um die Zweiten Bälle, die daraus entstehen.
In der Analytics Community sind die Zweiten Bälle bisher noch wenig erforscht. Die Idee zu diesem Blog ist im Austausch mit unserem geschätzten Kollegen Aritra Majumdar (@themachineball) entstanden. Wir sind schon länger befreundet und inspirieren uns gegenseitig.
Wir wollen herausfinden in welche Zonen die langen Bälle gespielt werden und in welchen Zonen die Bälle und Zweiten Bälle am erfolgreichsten zurückerobert werden. Und natürlich auch, mit welchen Aktionen die Bälle von den Teams erobert werden.
Auswahlkriterien für den Langen Ball
Als Ausgangsaktion berücksichtigen wir lange Bälle aller Spieler aus dem Strafraum heraus. Aus einem Abstoss oder auch aus dem Spiel heraus. Klassische Aktionen sind Torhüter Abstösse oder Abschläge, lange Bälle nach kurzen Passkombinationen bei Druck des Gegners oder auch lange Bälle des Torhüters nach Rückpässen.
Auch berücksichtigen wir nur Bälle die mindestens in die gegnerische Hälfte geschlagen wurden. Damit wollen wir die kürzeren und weniger risikoreichen Spielaufbau-Pässe ausschliessen.
Die Clearances haben wir auch ausgeschlossen, da es sich um defensive Befreiungsaktionen handelt.
Datensatz
Wir verwenden den kompletten Datensatz der Top 5 Ligen in Europa und zusätzlich der Super League 2023-24. Der Datensatz besteht aus über 1'500 Spielen und über 2 Mio. Events. Gesamthaft sind darin rund 34'000 Pässe enthalten, die unserer Kriterien entsprechen und aus dem Strafraum heraus in die gegnerische Hälfte geschlagen wurden.
Lange Bälle - Distribution pro Zone
In welche Zonen werden die langen Bälle geschlagen?
Die Grafik zeigt die Verteilung von langen Bällen in die verschiedenen Zonen des Spielfelds. Das Spielfeld haben wir in 11 Zonen unterteilt, und die Prozentwerte geben an, wie häufig lange Bälle aus dem Strafraum in diese Zonen gespielt wurden.
Klar dass die Zonen nicht exakt gleich gross sind. Trotzdem geht aus den Daten hervor, dass die Pässe am häufigsten in die zentralen Zonen geschlagen werden. Dort versuchen die Stürmer die Bälle festzumachen und das Team versucht mit gutem kollektivem Positionsspiel, die Zweiten Bälle zu gewinnen.
Die zentralen Zonen 3 und 8 weisen in ihrem Band das höchste Volumen auf. Das Band direkt nach der Mittellinie wird viel mehr bespielt, als das hintere. Die Verteilung in beiden Bändern zeigt, dass das Volumen mit zunehmendem Abstand nach aussen abnimmt. Die Zonen an den Aussenlinien weisen in beiden Bändern das tiefste Volumen auf.
Bälle in die End Zone 11, sind oft weite Bälle die ausrollen und erst in dieser Zone von einem Spieler berührt werden. Die Pass-Endkoordinaten werden dort registriert, wo die erste Berührung erfolgt.
Change the game: Zweite Bälle neu gedacht
Die Datenprovider taxieren den Pass bzw. den langen Ball als erfolgreich, sobald ein Spieler des selben Teams den Ball zuerst berührt. Egal ob der Ball danach kontrolliert werden kann, oder nicht. Berührung = erfolgreicher Pass. Das ist für uns in der Analyse nicht aussagekräftig genug.
Nach einem langen Ball resultiert oft ein "Zweiter Ball". Der Begriff bezieht sich auf Situationen, in denen ein Ball, der aus einem Zweikampf, einem Kopfball-Duell oder einer unkontrollierten Ballberührung, nicht direkt kontrolliert werden kann und somit für beide Mannschaften frei verfügbar ist.
Mannschaften die in der Lage sind, diese Zweiten Bälle systematisch zu erobern, können sich oft einen strategischen Vorteil verschaffen, da sie häufiger in der Lage sind, den Ballbesitz zu behalten und das Spiel zu kontrollieren.
Damit wir die Erfolgsquoten der Zweiten Bälle ausweisen können. müssen wir zuerst die Erfolgskriterien definieren. Das Ziel des Teams in Ballbesitz ist es, in der gegnerischen Hälfte weiterhin im Ballbesitz zu bleiben.
Erfolgskriterien: Ein Team gewinnt den langen Ball bzw. den "Zweiten Ball", indem es die erste kontrollierte oder erfolgreiche Aktion durchführt und damit den Ball unter Kontrolle bringt.
Zweikämpfe und Kopfballduelle sind keine kontrollierten Aktionen, bei denen gilt der Ball nicht als gewonnen. Bei Pässen und Kopfbällen ohne Duell, betrachten wir den Ball erst als erobert, wenn die Aktion erfolgreich war und der Ball bei einem Mitspieler angekommen ist.
Es kann durch Kopfballduelle, Zweikämpfe, unkontrollierten Ballberührungen oder Fehlpässe mehrere Sekunden dauern, bis ein Team den Ball nachhaltig erobert und somit die Spielkontrolle wieder erlangt hat
.
Nicht kontrollierte Aktionen sind: Pass oder Header Unsuccessful. Aerial Duel, Defensive Duel, BallTouch, Clearance und Tackle.
Bei folgenden Aktionen betrachten wir den Ball als gewonnen:
Pass Successful (Pass oder Kopfball muss erfolgreich sein, für Sicherung Ballbesitz)
Ball Recovery Successful (Ball ist erobert und gesichert)
Dribbling Successful or Unsuccessful (Spieler hat Ball vor Dribbling unter Kontrolle)
Interception Successful (Ball ist gesichert)
Foul des Gegners (Ball ist durch Freistoss gesichert)
Einwurf für Ballbesitzteam (Ball ist durch Einwurf gesichert)
Szenario A: Abstoss Team A > Kopfball Team A > Fehlpass Team B > Erfolgreicher Pass Team A. Resultat: Team A hat den zweiten Ball gewonnen
Szenario B: Abkick Team A > Kopfballduell nahe Seitenlinie > Team B gewinnt den Kopfball aber Ball geht ins Aus > Einwurf für Team A Resultat: Team A hat zweiten Ball gewonnen
Wir haben unsere Logik dem Eye-Test unterzogen, anhand von über 50 Spielen und über 500 Aktionen validiert und sie passt sehr gut. Danach haben wir die Logik programmiert und den Algorithmus auf alle 1'500 Spiele angewandt.
Erfolgsquoten der Zweiten Bälle per Zone
Die Grafik zeigt die Erfolgsquoten von langen und zweiten Bällen in verschiedenen Zonen des Spielfelds. Die Erfolgsquote gibt in % an, wie oft ein Ball in der jeweiligen Zone gewonnen wurde.
Die Daten zeigen, dass das erste Band höhere Erfolgsquoten aufweist als das zweite. Zudem weisen die seitlichen Zonen in beiden Zonenbändern die höchsten und um rund 5% höhere Erfolgsraten auf. Zusammengefasst kann man sagen, dass je seitlicher der Ball gespielt wird, desto erfolgreicher die Balleroberung ist.
Eine Steigerung von 5% kann auf den ersten Blick gering erscheinen. Aber in einem sehr wettbewerbsintensiven Umfeld bringt eine Steigerung von 5% Wettbewerbsvorteile und kann den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg ausmachen.
Das Resultat ist umso erstaunlicher, weil wir in der Verteilung gesehen haben, dass die meisten Bälle in das Zentrum geschlagen werden. Darum wollen wir eine Ebene tiefer gehen und die Folge-Aktionen analysieren die für die Balleroberung verantwortlich sind.
Top 3 Aktionen für den Gewinn der Zweiten Bälle
Die folgende Grafik zeigt pro Zone die drei häufigsten Folgeaktionen, die für die Balleroberung verantwortlich waren. Bzw. die erste kontrollierte oder erfolgreiche Nachfolgeaktion, mit der der Zweite Ball gewonnen wurde.
Die Zonen zeigen unterschiedliche Schwerpunkte bei der Balleroberung, wobei ein erster gespielter UND erfolgreicher Pass oder Kopfball (gilt als Pass) in allen Zonen mit durchschnittlich 66% der weit häufigste Grund ist.
Auf Platz zwei finden wir mit durchschnittlich 18% die Einwürfe. Ja Einwürfe. Je weiter seitlich, desto relevanter werden die Einwürfe. In den äussersten Zonen des ersten Bandes erfolgen bei 25% der Bälle die Balleroberungen der Zweiten Bälle durch Einwürfe!
Klassische Aktionen für Balleroberungen durch Einwürfe, sind Kopfballduelle nahe der Seitenlinie oder ein Norisk-Pass ins Aus, eines Verteidigers unter Druck.
Wenn nach einem langen oder zweiten Ball als Resultat ein Einwurf für unser Team erfolgt, ist das ein gewonnener Ball. Diese Tatsache wird in der Analyse und Statistik oft nicht mitberücksichtigt. Provozierte Einwürfe sind ein wichtiges Element für die Balleroberung in der gegnerischen Hälfte.
Dann folgen mit durchschnittlich 7% die Fouls und Dribblings. Die Fouls sind je zentraler die Zone, leicht höher. Dribblings erfolgen oft nach einem Fehlpass oder Fehlkopfball des Gegners und sind in den äusseren Zonen leicht häufiger als in den zentralen.
Ist es nicht erstaunlich, dass die Datenanalyse aufzeigt, dass Zonen mit tieferen Erfolgsaussichten häufiger bespielt werden und somit die Verteilungs-Strategie nicht optimal ist?
Die Teams bevorzugen lange Bälle ins Zentrum, wohl weil sie dort die offensivsten und meist auch kopfballstarken Spieler haben und noch Optionen auf beide Seiten haben wollen. Jedoch weisen die seitlichen Zonen die besseren Erfolgschancen auf. Wieso?
Ursachen-Hypothesen
Mögliche Ursachen für die höheren Erfolgsquoten in den seitlichen Zonen sind:
In den seitlichen Zonen entstehen zusätzlich Einwürfe, die man zentral nicht hat. Die gewonnenen Einwürfe steigern die Erfolgsquoten und machen den Unterschied.
Aus schärferen Pass-Winkeln entstehen mehr Einwürfe
Seitliche Zonen sind weniger dicht besetzt, da sich die Verteidiger stärker auf die Sicherung der zentralen Bereiche konzentrieren
Aussenverteidiger sind weniger kopfballstark als zentrale Verteidiger
Lange Bälle in seitliche Zonen haben oft einen schärferen Winkel, was die Verteidigung besonders im Kopfballduell für den Verteidiger erschwert.
Was bedeuten die Resultate für die Praxis?
Als erstes müssen die Einwürfe und Fouls in die Statistik der gewonnenen Zweiten Bälle mitberücksichtigt werden.
Teams und Torhüter können mit lange Bällen die seitlichen Zonen bewusster und stärker bespielen und die Erfolgsquote auf den Ballgewinn erhöhen. Es können auch neue Strategien entwickelt oder die bestehende angepasst werden, um nach seitlichen Bällen noch mehr Einwürfe zu provozieren.
Vor allem defensivere Teams die öfters mit langen Bällen operieren (müssen), können mehr davon profitieren und dadurch ihre Ballbesitzanteile steigern.
Die Position das Balles beim Abstoss kann auf der 5m Linie so positioniert werden, dass sie seitliche Bälle und gute Winkel begünstigt. Wenn man schon weiss wohin der Ball kommt, kann man die Zone auch bewusster bespielen. Zudem kann man bewusst den Aussenverteidiger physisch beim Kopfball stören.
Immer mehr Teams ziehen einen Experten als Set-Play Coach bei. So könnte man mit kollektiven und abgestimmten Bewegungen die Einwürfe systematisch verbessern und mehr aus den provozierten Einwürfen herausholen.
Kurz vor Schluss bei einer Führung steht weniger der Angriff, sondern der Ballbesitz im Fokus. Wie bei einem kurz gespielten Ballbesitz-Corner. Hier könnten Teams auch Strategien wählen, um in den seitlichen Zonen Einwürfe oder Fouls zu provozieren, die Ballbesitz und auch rund 40 Sekunden auf der Uhr bringen.
Wir sind der Meinung, dass man mit einer bewussten Anwendung einiges mehr als die 5% herausholen kann. Wie immer geht es bei der Umsetzung aber nicht um ein Entweder-oder, um Schwarz oder Weiss. Die Lösungsansätze sollten variiert werden, um flexibel und unberechenbar zu bleiben. Ich empfehle mit dem Torhüter ein Körpersprache-Zeichen zu chiffrieren, um die Variante frühzeitig anzuzeigen.
Einwurf Balleroberungs-Teams
Wir haben die Teams in den Top 5 Ligen analysiert und die Teams die am meisten ihrer Balleroberungen durch Einwürfe produzieren sind: RB Leipzig 23.3%, Sassuolo 23.3%, West Ham 22.4% und Valencia 21.9%. Sie gewinnen über 20 % ihrer gewonnenen zweiten Bälle durch Einwürfe.
Wie hoch das Verbesserungs-Potential dieser Strategie ist, weist die Tatsache aus, dass die schwächsten Teams eine Quote von nur 5% erreichen. .
Die gewonnenen langen Bälle durch gewonnene Einwürfe sind in orange abgebildet..
In der Super League 23-24 haben Luzern 24.7% und Zürich 23.4% ihrer gewonnenen Zweiten Bälle durch Einwürfe gewonnen.
Team Vergleiche in diversen Ligen
Achtet auf die langen Bälle von Liverpool auf die rechte Seite. In der seitliche Zone wurden über 55% der gewonnene Bälle durch Einwürfe gewonnen.
Ich habe übrigens im 2023 dem Trainer-Staff eines Super League Teams unter anderem vorgeschlagen, als taktische Verbesserung mehr lange Bälle in die seitlichen Zonen zu schlagen.
Es kann gut sein, dass sich nach dem Lesen dieses Artikels Deine Wahrnehmung in Bezug auf die Zweiten Bälle verändert oder Du Evidenzen für unsere Strategie bemerkst, die Dir vorher nicht aufgefallen wären.
Das wahre Abenteuer besteht nicht darin, neue Landschaften zu entdecken, sondern darin, die Welt mit neuen Augen zu sehen." Marcel Proust
Man sieht nur, was man weiss. Daten können helfen, Verborgenes oder Unbewusstes ans Licht zu bringen.
Eine smarte und erfolgreiche Nutzung von Daten geht weit über den reinen Kauf von standardisierten Tools hinaus. Wir verfügen über langjährige Erfahrung in den Bereichen Fussballtrainer, Spielentwicklung, Spielanalyse und Datenscouting. Ergänzend bringen wir auch Fachwissen in den Bereichen Geschäftsinnovation, Design Thinking und Produktentwicklung an den Tisch.
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